hier ist mein Zwischenbericht, den ich für meinen Unterstützerkreis geschrieben habe:
Liebe Familie, liebe Freunde, liebe Bekannte, liebe Unterstützer,
Im Folgenden werde ich von den ersten drei Monaten meines Freiwilligenjahres in Argentinien berichten:
Angefangen hat alles am 24.7.2009 mit einem ca. 14 Stunden langen Direktflug von Frankfurt nach Buenos Aires. Nach einem ereignislosen Flug wurden wir am Flughafen von dem Koordinator des Freiwilligenprogramms Christof Gillen abgeholt. Das Problem war nur, dass wir von einem Kleinbus abgeholt wurden, der gerade nur einen Sitzplatz für jeden bot. Aber da wir jeder von uns noch zwei große Gepäckstücke dabei hatten, wurde es dementsprechend eng. Letztlich haben wir alles untergebracht bekommen, sodass wir zwar etwas eingequetscht aber wohlbehalten in unserer Unterkunft angekommen sind. Im Laufe des nächsten Tages sind dann noch mehr Freiwillige aus Deutschland angekommen, sodass wir am Ende eine Gruppe von 43 Volontären waren.
Der Sprachkurs:
Während der ersten drei Wochen waren wir in der evangelischen theologischen Fakultät der Universität von Buenos Aires (ISEDET) untergebracht. Dort hatten wir dann neben allerlei Exkursionen und Vorträgen zu sozialen und politischen Themen einen jeden Vormittag Sprachunterricht. Dieser war (nicht nur bei mir) auch bitter nötig, da ich wie viele andere ohne nennenswerte Vorkenntnisse angekommen bin. Unserer Sprachlehrer waren Theologiestudenten des ISEDET, die uns auch noch gleich die Umgebung näher gebracht haben. Der Sprachkurs an sich war für mich nur bedingt sinnvoll, da mir der grammatikalische Inhalt etwas gefehlt hat. Aber letztlich habe ich in diesen drei Wochen trotzdem sehr viel gelernt, vor allem deshalb weil ich immer meine Karteikarten dabei hatte. Auf diese Weise konnte ich mir in dieser Zeit einen ganz passablen Grundwortschatz aneignen. Dabei geholfen hat mir auch, dass wir während dieser Zeit Selbstversorger waren. Das ist für mich zunächst ziemlich anstrengend gewesen, da ich es einfach nicht gewohnt war jeden Tag zu Kochen ständig einkaufen zu gehen. Aber auf diese Weise habe ich mir die überlebenswichtigen Vokabeln umso schneller angeeignet.
Die ersten drei Wochen im ISEDET waren insgesamt zwar sehr schön, aber auch sehr anstrengend. Das lag zum einen daran, dass wir in einer so großen Gruppe zusammen gelebt haben aber auch einfach daran, dass die Umstellung auf ein anderes Land, eine andere Jahreszeit und auf eine riesige Stadt eigentlich immer anstrengend ist. Dementsprechend froh war ich dann auch, als wir dann endlich in unsere Projekte gegangen sind. Die Anreise zu meinem Projekt war auch gar kein Problem, da sich mein Projekt nur 150 Kilometer entfernt von Buenos Aires befindet.
Meine Umgebung:
Mein Projekt befindet sich in Baradero, einer Stadt mit 30.000 Einwohnern genau in der Mitte zwischen Rosario und Buenos Aires. Baradero ist sehr ländlich geprägt. Aber im Zentrum bekommt man trotzdem (fast) alles was man will. Aber auch hier in Baradero ist die soziale Spanne, wie in ganz Argentinien, deutlich sichtbar. So gibt es im Zentrum durchaus sehr schöne und sehr moderne Häuser, aber sobald man sich einige Cuadras (Blöcke) vom Zentrum entfernt sind die Straßen nicht mehr gepflastert und die Häuser werden auch immer ärmlicher. Die Straßen aus Erde werden vor allem dann zu einem Problem, wenn es regnet. Durch den ganzen Matsch kommt man dann kaum noch ins Zentrum, wenn man nicht gerade einen Geländewagen hat. Das führt auch dazu, dass viele Kinder einfach nicht in die Schule gehen, wenn es regnet. Auch für mich wird es dann sehr unangenehm, da mein Projekt außerhalb der Stadt liegt und mein einziges Fortbewegungsmittel ein uraltes Fahrrad ohne Schutzblech ist. Von meinem Projekt bis zum Stadtzentrum brauch ich ungefähr eine Viertelstunde mit dem Fahrrad, was mit diesem Fahrrad wirklich nicht angenehm ist.
Wohnen tue ich mit meinem Mitfreiwilligen Sascha zusammen in einem Apartment direkt in unserem Projekt. Unsere Wohnung hat drei Zimmer und ein Bad, was eigentlich schon ziemlich gut ist. Letztlich bin ich mit unserer Wohnsituation auch wirklich zufrieden, auch wenn so einiges nicht ganz so gut funktioniert. So zerfällt zum Beispiel unser Spülschrank langsam wegen der Feuchtigkeit und im Bad bilden sich immer Pfützen rund um das Klo. Aber uns wurde auch schon versprochen, dass wir „bald“ umziehen werden. Nur ist so ein bald hier immer sehr unbestimmt, sodass wir jetzt einfach mal abwarten und Teetrinken. Hier trinkt man übrigens keinen normalen Tee sondern Mate. Dabei wird in einen Becher aus Holz oder einem getrockneten Kürbis Yerba, eine spezielle Teemischung, gefüllt und dann mit heißem Wasser aufgegossen. Getrunken wird das Ganze dann mit der Bombilla, einer Art Strohhalm. Der Mate ist wirklich das national Getränk Argentiniens. Hier sieht man andauernd Leute mit einer Thermosflasche herumlaufen. Auch während der Arbeit werden oft Pausen zum Mate trinken eingelegt. Das Matetrinken ist aber auch immer eine sehr soziale Angelegenheit, da der Mate immer im Kreis wandert.
Mein Projekt:
Mein Projekt ist ein ehemaliges Kinderheim der deutschen evangelischen Gemeinde Argentiniens. Es ist nach seinem Gründer „Hogar Germán Frers“ benannt. Der Hogar, übersetzt das Heim, befindet sich auf einem ziemlich großen Grundstück. Wir haben nicht nur unser eigenes Fußballfeld, sondern auch noch einen kleinen Wald und Felder mit Zitronen- und Orangenbäumen. Zusätzlich zu diesen Feldern sind auf dem ganzen Gelände Bäume und Sträucher mit den verschiedensten essbaren Früchten zu finden. So gibt es Feigen, Avocados, Nüsse und noch einige andere mehr oder weniger exotische Früchte. Neben dem großen Hauptgebäude, in dem auch wir wohnen, gibt es hier noch einige weitere Gebäude. Die früher wurden fast alle der Gebäude für den alltäglichen Heimbetrieb gebraucht, da hier bis zu 60 Kinder und Jugendliche untergebracht waren. Heute wird ein Großteil der Gebäude nur noch für (Wochenend)Freizeiten und andere Arten von Tourismus benutzt. Ansonsten haben wir auf unserem Gelände noch die zweit älteste evangelische Kirche Argentiniens und einen Swimmingpool.
Heute ist das Projekt nur noch ein Tageszentrum, da das Heim aus Juristischen Gründen vor ungefähr einem Jahr schließen musste. Das heißt, dass ein Großteil des Geländes und der Gebäude höchstens am Wochenende benutzt wird, wenn mal wir ein Camp ansteht. In das Tageszentrum kommen unter der Woche jeden Tag bis zu 20 Kinder. Die Kinder werden dafür immer von einem Kleinbus direkt an der Schule abgeholt und zu unserem Projekt gefahren. Hier kriegen sie dann was zu essen und Betreuung für den Nachmittag. Die Kinder, die zu uns kommen dürfen, werden von zwei Sozialarbeiterinnen der Stadt in Abstimmung mit uns, also dem Personal des Hogars bestimmt. Die Kinder, die im Augenblick hier her kommen, kommen fast alle aus schwierigen Verhältnissen wie zu Beispiel häuslich Gewalt, Alkoholismus der Eltern und leider auch sexueller Missbrauch. Aber unsere Kinder kommen jetzt nicht alle aus extrem armen Verhältnissen, sodass die Probleme nicht spezifisch Argentinisch sind sondern so auch in Deutschland auftauchen könnten. Nur sind die Probleme hier dann normalerweise immer einen Grad schlimmer als bei uns.
Das Team des Hogars ist ziemlich groß. So gibt es neben den zwei Erzieherinnen, die sich natürlich hauptsächlich um die Kinder kümmern, eine Köchin, eine Putz- und Waschfrau, eine weitere Koch- und Putzfrau, einen Hausmeister und jemanden der für den Tourismus Aspekt des Hogars zuständig ist. Und natürlich gibt es noch unseren Chef, der aber in Buenos Aires wohnt und deswegen nur zwei- bis dreimal die Woche hier in Baradero ist. Außerdemm gibt es noch die zwei Sozialarbeiterinnen der Stadt, die auch regelmäßig vorbeischauen und uns bei der Arbeit mit den Kindern unterstützen. Auf diese Weise können wir den Kindern eine wirklich umfassende Betreuung bieten. Aber das Personal reicht nicht aus, um das ganze Gelände mitsamt der Landwirtschaft am Laufen zu halten. Das bedeutet leider, dass hier ziemlich viel brachliegt und auch viele Arbeiten an den Gebäuden einfach liegen bleiben.
Meine Arbeit:
Mein normaler Tagesablauf an einem Arbeitstag setzt sich wie folgt zusammen: Aufstehen tue ich meistens so kurz nach acht Uhr und mache mir dann erst einmal einen Kaffee um wach zu werden. Dann habe ich noch gute 90 Minuten Zeit bis die Arbeit um zehn Uhr anfängt. In dieser Zeit kommuniziere ich viel mit meiner Familie und Freunden aus Deutschland, da sie dann meistens die Mittagspause haben. Um zehn Uhr gehe ich dann runter, aus dem Gebäude raus und fange an zu fragen was es zu tun gibt. Meine Aufgaben am Vormittag sind sehr unterschiedlich. So habe ich schon gestrichen, Büroarbeit gemacht, etwas für die Kinder vorbereitet oder auch einfach nur aufgeräumt. Die Zeit am Vormittag geht meistens recht schnell vorbei, auch deshalb weil es effektiv nur anderthalb Stunden sind. Es gibt nämlich schon um 11.30 Uhr Mittagessen für uns hier im Projekt, das auch von der Köchin zubereitet wird. Das Essen schmeckt meistens ziemlich gut, auch wenn es nicht immer so abwechslungsreich ist. Zwischen zwölf und halb eins kommen dann die Kinder mit dem „Cole“ (Kurz für Colectivo, Bus) und fangen meistens direkt an zu spielen. Da unsere Arbeit zu einem guten Teil daraus besteht einfach mit den Kindern zu spielen, ist dann auch schon unser Einsatz gefragt. Sei es mit der Hamaca (Schaukel) oder mit dem Basketball, auf jeden Fall fordern die Kinder immer unsere Partizipation. So macht die Arbeit dann auch (fast) immer Spaß, auch wenn mir die Handgelenke vom ständigen Anschubsen der Kinder auf der Schaukel schon ziemlich weh getan haben. So gegen zwei Uhr gibt es dann immer den Postre (Nachtisch), der meistens aus selbst gemachtem Pudding, Grießbrei oder Milchreis besteht. Ein richtiges Mittagessen gibt es nur für Kinder, die in der Schule nichts zu essen bekommen. Und das sind im Augenblick nur drei Kinder.
Nach dem Postre gibt es Apoyo Escolar, was so viel ist wie Hausaufgaben Hilfe und Nachhilfe in einem. Je nachdem ob die Kinder Hausaufgaben haben oder nicht. Auch dabei müssen Sascha und ich mithelfen. Das ist meinem Empfinden nach die schwierigste Aufgabe hier. Und zwar nicht wegen der Sprache oder der Schwierigkeit der Aufgaben, sondern weil immer man sich immer um mehrere Kinder gleichzeitig kümmer muss. Wir haben die Kinder zwar in zwei Gruppen aufgeteilt, sodass Sascha und ich mit jeweils einer Erzieherin einer Gruppe helfen. Aber das sind halt auch schon sieben bis zehn Kinder auf zwei Personen. Und das Problem ist, dass die meisten nicht in der Lage sind ihre Hausaufgaben selbstständig zu machen. Das heißt wir müssten eigentlich mit Kind einzeln seine Hausaufgaben machen, was aber effektiv nicht möglich ist. Denn manche Kinder verlieren sehr schnell die Lust am Aufgaben machen, sofern sie denn überhaupt welche hatten, wenn man sich nicht direkt um sie kümmert. Deswegen läuft es auch oft darauf hinaus, dass manche Kinder, bevorzugt die etwas clevereren, einfach nur malen oder basteln während wir den anderen Kindern bei den Hausaufgaben helfen. Das Helfen an sich ist meisten auch ziemlich anstrengend, da einige Kinder noch nicht richtig schreiben und lesen können. Aber inzwischen habe ich den Eindruck, dass unsere Arbeit den Kindern echt etwas bringt. Einige Kinder haben in der Zeit in der ich jetzt hier bin schon wirklich gute Fortschritte gemacht, sodass ich guten Mutes bin auch den anderen noch helfen zu können.
Nach dem Apoyo Escolar gibt es eigentlich noch andere Workshops, wie zum Beispiel Zeichnen und Malen, Kochen oder auch Sport. Diese Workshops finden aber leider alles andere als regelmäßig statt, da die Leiter(innen) oft keine Lust oder Zeit haben. Wenn kein Workshop stattfindet spielen wir danach wieder mit den Kindern, bis es Zeit zu Abendessen wird. Das ist so ungefähr um 17.15 Uhr. Vorher sollten sich die Kinder noch duschen, was hier aber keine Verpflichtung ist. Aber wenn ein Kind mal wieder sehr dreckig ist, wird von unserer Seite durchaus Druck gemacht, dass es sich doch mal wieder duscht. Aber im Großen und Ganzen ist das kein Problem mit den Duschen. Es duschen sich zwar nie alle, aber über die Tage verteilt kommt jeder einmal dran. Einmal die Woche machen wir vor dem Abendessen noch eine Andacht mit unserem Chef, was aber auch so ziemlich der einzige direkt christliche Aspekt des Tageszentrums ist. Auch noch vor dem Abendessen gibt es eine (Selbst)Evaluation des Tages durch die Kids und uns. Dafür haben wir eine Namens Liste auf die wir mit den drei Farben der Ampeln Punkte malen, je nachdem wie sich das Kind benommen hat. Dabei bestimmen natürlich wir die Farbe, aber die Kinder bekommen durchaus Raum sich selbst einzuschätzen. Das ist noch eine ziemlich neue Idee von uns, aber sie scheint ziemlich gut zu funktionieren. Auch weil wir mit Sanktionen gedroht haben, falls jemand zu viele Rot Punkte in der Liste hat. Nach dem Abendessen kommt dann wieder der Cole und holt die Kinder ab. Einmal die Woche haben wir dann nach der Arbeit noch ein Treffen mit dem gesamten Team wo über alles Mögliche gesprochen wird. Zum einen werden Probleme von und mit einzelnen Kindern besprochen aber zum anderen auch Organisatorisches wie zum Beispiel das Problem mit den Workshop Leiter(innen).
Neben dieser regulären Arbeit gibt es aber auch immer irgendwelche anderen Aktionen die anstehen. So gibt es am Wochenende auch oft Freizeiten oder ähnliche Veranstaltungen im Hogar bei denen wir mithelfen können und teilweise auch sollen. Diese zusätzlichen Arbeitstage können wir und dann aber auch wieder unter der Woche freinehmen.
Am vierten Oktober haben wir außerdem das hundertjährige Jubiläum des Hogars gefeiert, sodass wir um Vorfeld dieses Festes sehr viel zu tun hatten, weil unter anderem der Swimmingpool gesäubert werden musste. Aber trotz allem der ganzen Arbeit habe ich heir auch noch Freizeit.
Meine Freizeit:
Meine Freizeit beschränkt sich hier eigentlich immer auf die Zeit nach sechs Uhr und auf die Wochenenden. Unter der Woche gehe ich an zwei Abenden Volleyball spielen, was mir auch sehr viel Spaß macht. Außerdem kommt man auf diese Weise auch am ehesten in Kontakt mit einheimischen Jugendlichen. An den zwei anderen Abenden gehe ich zum Sprachunterricht bei einer ehemaligen Französisch Lehrerin. Die kann zwar kein Wort Deutsch, aber dadurch lerne ich das Spanisch nur noch besser. Überhaupt habe ich mit der Sprache keine allzu großen Probleme mehr. Wenn jemand mit mir redet verstehe ich fast alles und wenn ich einfach nur zuhöre verstehe ich auch schon den Großteil. Sprechen kann ich auch schon ganz gut, wobei ich natürlich noch viele Fehler mache. Was mir vor allem zu schaffen macht ist das spanische „R“, dass ich einfach nicht aussprechen kann. Aber an sich klappt das alle schon sehr gut. Ich habe sogar schon mein erstes Buch auf Spanisch gelesen (Robinson Crusoe). Das war zwar relativ anstrengend, aber ich habe es letztlich mit Hilfe eines Wörterbuchs ganz gut geschafft. Inzwischen bin ich auch schon am dabei das nächste Buch zu lesen.
Die Wochenenden verbringe ich meistens hier im Hogar mit gelegentlichen Ausflügen in die Stadt oder zum angeln. Aber es gibt auch die Möglichkeit in zwei Stunden nach Buenos Aires zu kommen. Und da wir dort auch noch viele andere Freiwillige kennen, haben wir auch immer einen Ort zum schlafen. Deswegen können wir uns auch immer in die Großstadt stürzen wenn uns danach zu Mute ist.
Liebe Grüße aus dem fast schon Sommerhaften Argentinien
Lukas